Das authentische Badezimmer: Minimalismus versus Alltagtauglichkeit

09/20
Persönliche Dinge machen sich im realen Badezimmer schnell breit

Pflegemittel, Handtüchern, Zahnbürsten und weitere persönliche Dinge machen sich im realen Badezimmer schnell breit.

Bei der Badplanung informieren und orientieren sich professionelle Badplaner und Architekten an der Bilderwelt der nationalen und internationalen Sanitär-Unternehmen. Auch werden Inspirationen für eine neue Badplanung häufig aus der Bilderflut im sozialen Web gewonnen.

Private Einsichten in die Bäder der deutschen wie der internationalen Badnutzer gibt es selten – schließlich ist das Bad eines der letzten Zimmer, das von innen abgeschlossen wird. Doch wie sieht es in privaten Bädern wirklich aus? Müssten wir bei der hier zu erwartenden deutlichen Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit die gängige Praxis der Darstellung und Visualisierung von Bädern nicht neu überdenken?


Private insights into the bathrooms of German or international bathroom users are rare – the bathroom is, after all, one of the last rooms that we lock from the inside. But what do private bathrooms really look like? It seems safe to assume there will be an obvious discrepancy between ideal and reality. So shouldn’t we rethink common practice when it comes to portraying and visualising bathrooms?


Eine hochwertige Spachtelwand, eine großzügige, bodenebene Dusche und ein LED-Himmel mit wechselnden Motiven, scheinbar unendlich große Bäder: Die Angebotsvielfalt im Bereich hochwertiger und großzügig umzusetzender Bäder scheint kaum noch Grenzen zu kennen und dominiert das in den Medien transportierte Bild vom idealen und begehrenswerten Bad. Dabei sieht die Realität in deutschen Bädern doch in der Regel anders aus. Das deutsche Badezimmer ist im Durchschnitt unter 10 Quadratmeter groß, und gerade in Mietwohnungen müssen die Bewohner sich oft mit weniger als 6 Quadratmetern Badezimmer arrangieren. Eine freistehende Badewanne ist mit diesen Gegebenheiten eigentlich nicht zu realisieren. Dennoch steht der Wunsch nach einem Private Spa bei vielen Badnutzern ganz oben auf der Wunschliste des Wohnens. Entgegen dem in den Medien transportierten Bild sind die Sanitärhersteller hier ganz realistisch und bieten zunehmend Produktkonzepte an, die patente Lösungen für kleine Bäder bieten und sie gleichzeitig aufwerten.

Wo sind denn all die Flaschen, Deos und elektrischen Zahnbürsten?

Die größte Diskrepanz zwischen den schicken Fotos und der Realität ist der Mangel an Stauraum und der Umgang mit den vielen Accessoires, Pflegemittel, Handtüchern, Zahnbürsten und weiteren persönlichen Dingen – und deren Menge kann je nach Anzahl der Badnutzer schon recht groß sein. In ein solches Sammelsurium unterschiedlichster Dinge Ordnung zu bringen fällt selbst mit einem professionellen Stauraumkonzept schwer – geschweige denn, man verzichtet als überzeugter Minimalist auf störenden Regale und Schränke. Also rigoros ausmisten? Umgekehrt sind es doch gerade die persönlichen Dinge des Badnutzers, die ein Badezimmer zum authentischen, ganz privaten Raum machen.

Die Erhöhung durch den Stylisten oder Interior Designer

Bad-Accessoires werden fürs Foto-Shooting akkurat drapiert

Für ein Foto-Shooting werden die Bad-Accessoires akkurat in einer einheitlichen Farbe oder zumindest einheitlichem Look aufgereiht.

Ein Stylist oder ein Interior Designer, der die Aufgabe hat, ein Badezimmer für ein Foto-Shooting vorzubereiten, „erhöht“ das Badezimmer durch sein Styling. Die Dusch-Gels, wenn überhaupt welche zu sehen sind, sind akkurat in einer einheitlichen Farbe oder zumindest einheitlichem Look aufgereiht. Ein bis zwei schick drapierte Handtücher schmücken den Handtuchhalter, und die wenigen Deko-Gegenstände haben auf einer Ablage oder auf einer Freifläche auf dem Waschtisch viel Luft zum Atmen.

Zauberwort: Stauraum

Doch mit der schönen Optik ist spätestens nach einer Woche Badnutzung durch eine 4-köpfige Familie vorbei: Das Badezimmer „wächst“ organisch und entwickelt seinen ganz eigenen Style. Doch das ist ja auch gar nicht schlimm – schließlich leben wir ja alle in unserer Wohnung und lichten sie nicht ständig für Instagram, Pinterest & Co. ab. Wer das möchte, muss eben aufräumen. Das Zauberwort hierfür heißt „cleaning“ und entspricht einem aktuellen Lifestyle-Trend. Doch auch das Gegenteil, der unaufgeräumte, bewohnte Look gilt bei vielen nicht mehr als uncool, wie einzelne Einrichtungsmarken bereits werblich aufgenommen haben. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die eine oder andere Sanitärmarke in ihrer Bildsprache ein bisschen Unordnung zulässt. Doch da es im Badezimmer sauber sein sollte, wird die Realität wohl auch hier irgendwo in der Mitte von Minimalismus und Pragmatismus liegen.

Das Lifestyle-Badezimmer verlangt nach professionellem Styling

Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass der Trend im Einrichtungsbereich immer mehr zum Lifestyle-Badezimmer geht: Das Badezimmer wird durch wohnliche Sanitärprodukte und -möbel immer gemütlicher, und durch ausgewählte Deko-Gegenstände wird es für seine Bewohner zu einem echten Zimmer. Das individuelle Badezimmer braucht daher Platz für das Interior Design und viele Türen, Schubladen und Stauräume zum Verstecken der vielen kleinteiligen Gebrauchsgegenstände, Pflegeprodukte und Kosmetika. Das Verhältnis „persönliche“ Badutensilien zu Deko-Gegenständen muss ausgewogen sein und sollte im Laufe der Nutzungsdauer auch immer mal wieder auf den Prüfstand kommen. Professionelle Badplaner und Stylisten investieren daher zusätzliche Kreativität in die „Erhöhung“ eines neuen Bades, denn erst mit der authentischen Finalisierung zaubert das Badezimmer täglich ein entspanntes Lächeln ins Gesicht der Nutzer.